A.1. Der Osterdeich von den Wallanlagen bis zum Sielwall ersetzt den mittelalterlichen Punkendeich

Im Jahre 1802 hatte der Bremer Senat entschieden, dass die historische, die Altstadt schützende Stadtmauer abzureißen ist.(1) Auf diese Weise sollte sich die Stadt Bremen „modernisieren“ und sich in die Vorstädte „öffnen“.

Weil er mehrere Funktionen in sich vereint, stellt der sich östlich der Wallanlagen hinziehende Osterdeich, anhand dessen sich die Östliche Vorstadt erst entwickeln konnte, aus vielerlei Gründen eine Besonderheit dar.

Besonderheit zum einen deshalb, weil der gut 4 km lange und gerade Osterdeich besseren Schutz der Deichanwohner vor winterlichem Weser-Hochwasser darstellte – das war wegen der von Ludwig Franzius in den 1880er Jahren durchgeführten „Weserkorrektion“ besonders bedeutsam.(2)

Besonderheit zum anderen deshalb, weil dieser Osterdeich von Planungsbeginn an gleichzeitig eine städtebauliche Bedeutung implizierte. Die Anlage des (neuen) Osterdeiches „vor“ den mittelalterlichen Deichen direkt am Weserufer mit einhergehendem Geländegewinn ergab nämlich eine Struktur für die neu zu entstehende Wohnbebauung mit Wege- und Straßenbeziehungen. Auch nicht alltäglich und möglicherweise nicht kompatibel mit Vorschriften des Hochwasserschutzes ist die Tatsache, dass schon bald der Osterdeich auch als Fahrweg ausgewiesen und damit selbst ein Teil der Wegeziehung wurde.

Dass sich – am größten beim Dritten Bauabschnitt – auch eine Wertsteigerung (3) aller Binnendeichs-Grundstücke ergaben und damit Rendite-Potentiale von staatlichen und privaten Investoren berücksichtig und geplant werden mussten, erscheint logisch und werden wir im Einzelnen noch sehen.

Der Erste Bauabschnitt des Osterdeichs, der östlich der Wallanlagen ab etwa 1850 begonnen wurde, endete 1860 auf dem noch nicht verrohrten Dobben / Sielwall und „sprang“ gleichsam provisorisch auf den mittelalterlichen Eisenradsdeich „zurück“, weil nicht gleich weitergebaut werden konnte. Zusammen mit einem Steintor bildete der Sielwall gleichzeitig den Grenz- „wall“ (4) , der die „alte Vorstadt“ schützte. Die teilweise noch heute am Osterdeich (ehemals einzeln-) stehenden Stadtvillen wurden auf dem neuen Baugrund errichtet – es wurde praktisch die „Landdifferenz“ zwischen dahinterliegendem, mittelalterlichen Punkendeich und neuem, „vorgezogenem“ Osterdeich bebaut. Um die Bebauung mit Stadtvillen auf Deichniveau weiter zu befördern und damit die Attraktivität nochmals zu erhöhen war die Anschrägung vom Ostertorsteinweg zum Deich von Anfang an Teil des Gesamtkonzepts.

Nicht vergessen werden darf an dieser Stelle das 1973 – nach längerem und ausgesprochen geschicktem Vorgehen inclusive politischer Auseinandersetzung – wieder eingestellte „Projekt Mozart-Trasse“ (5) : Durch das Ostertor über Osterdeich und Weser in die Bremer Neustadt sollte eine auf Stelzen stehende Stadtautobahn den innerstädtischen Verkehr entlasten – und die gewachsene Struktur des Ostertors damit zerstören.

pfeilSeminar

pfeilReferat

pfeilProjekt

pfeilBeratung

pfeilStadtteil-Führung

 

Anmerkungen
(1) „Schleifen“ hieß der damalige Begriff
(2) Von der bis dahin weitverzweigten und nur gut 50 cm tiefen Weser begradigte er den Hauptarm und  vertiefte ihn. Dass neben Hochwasser aus dem Weser-Quellgebiet auch sturmbedingte Hochwasser von der Nordsee die Stadt Bremen bedrohte, war den Fachleuten früh bekannt.
(3) Aus ehemaligem, preiswertem Aussendeichsland, das nur als Viehweide genutzt werden konnte, entstand nun bebaubares und damit höherpreisiges  Binnendeichsland.
(4) Erst 1861 wurde die aus Speerspitzen bestehende Grenze bis zur heutigen Georg-Bitter-Straße nach Osten verschoben. Die Straße „Vor dem Steintor“ symbolisiert den Umstand, dass landeinwärts ein solches gestanden hat.
(5) Eine ausgesprochen spannende Initiative insbesondere von Anwohnern hatte es nach langem Kampf geschafft, die alleinregierende SPD-Fraktion in der Bremer Bürgerschaft zum Rückzug dieses „modernen Nachkriegsprojekt“ zu bewegen.